Sprachsensibler Fachunterricht

Ergänzend zu diesen Punkten wurde eine Empfehlung ,,Sprachsensibler Fachunterricht an beruflichen Schulen“ erstellt. Hier geht es um die besonderen Herausforderungen in der Förderung der Fachsprache an beruflichen Schulen, besonders zum Berufseinstieg, der Beruflichen Erstausbildung, der Höher- und Weiterqualifizierung der beruflichen Schulen.[1]

Die SuS als Klassengemeinschaft sollten für die Herausforderung bestimmter Schülergruppen mit der deutschen Sprache und der deutschen Bildungssprache sensibilisiert werden und ein fairer, hilfsbereiter Gesamttonus sollte angestrebt werden. SuS nichtdeutscher Herkunft bzw. Nichtmuttersprachler sollten nicht als „Unterrichtsbremse” gesehen werden, sondern als mögliche Bereicherung interkulturellen Wissens und Kennenlernens von etwaigen anderen Herangehensweisen an bestimmte Lerninhalte (z. B. in der Mathematik). Stärkere SuS können Schwächere unterstützen, indem dies schon beim Sitzplan berücksichtigt wird. Auch die Kommunikation in der eigenen Muttersprache sollte bis zu einem bestimmten Grad toleriert werden, da sich dies für den Lernprozess als förderlich erwiesen hat. Eine Sensibilisierung der SuS für die Probleme von SuS nicht deutscher Herkunft kann durch die Auswahl geeigneter Materialien geschehen, die zu einer Auseinandersetzung mit kulturellen Unterschieden führen, wie z. B. die Themenblätter der Bundeszentrale für politische Bildung, Texte über Länder und Kulturen oder Kurzfilme, wie z. B. ,,Der Schwarzfahrer“ von Pepe Danquart. Weitere Tipps sind in Kapitel „Sensibilisierung der Lehrkräfte“ zu finden.

Nach der Sprachstandsanalyse (siehe Kapitel „Erfassung der SuS mit Sprachförderbedarf und Diagnostik“) der SuS durch entsprechende, bereits genannte Messinstrumente, können Unterrichtsinhalte entweder individuell angepasst oder allgemein auf die schwächsten SuS ausgerichtet werden.

Im Folgenden werden einige Tipps zu einer möglichen Unterrichtsplanung dargestellt.

[1] https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2019/2019_12_05-Sprachsensibler-Unterricht-berufl-Schulen.pdf


Vorgehensweise: Erkennen von sprachlichen Hürden

Die Unterrichtseinheiten sollten auf etwaige Stolpersteine für das Schülerklientel überprüft werden. Diese können Fremdwörter sein, lange, verschachtelte und umständliche Sätze, ungewöhnliche Wörter, Metaphern, Fachwortschatz, Komposita (z.B. Feuerschutzleiter, Gemeindegrundsteuer, Sommerschlussverkauf), Partizipien (z.B. die Auszubildenden, die Anwesenden, heranwachsend, zusammengeklappt), Verben und Nomen mit verschiedenen Bedeutungsebenen (Gabel, Gang, Eselsohr, Laster, Lösung, Stift, Steuer), grammatische Besonderheiten. (z. B. Passiv-Formen). Folgende Fragen können dabei gestellt werden: Ist das Schriftbild (z. B. Druckschrift, Schreibschrift) lesbar? Ist eine Strukturierung vorhanden? Gibt es zu viel Text oder zu wenig Visualisierungen? Um welche Art von Text (z. B. die Textsorte) handelt es sich? Welche Art von Medien werden eingesetzt und welche Schwierigkeiten könnten SuS nicht deutscher Herkunft mit ihnen haben?

Ein ausreichendes Verständnis eines Textes ist relevant, damit SuS die dazugehörigen Aufgaben erfolgreich bearbeiten können. Um die SuS dabei zu unterstützen, kann entweder der Text an den/die Leser/in angepasst werden (defensive Vorgehensweise - Vereinfachung) oder der/die Leser/in erhält Hilfestellungen und Methodenwerkzeuge, um den Text (ohne Vereinfachung) zu verstehen (offensive Vorgehensweise).[1]

[1] vgl. Leisen 2020: S. 14f.


Defensives Vorgehen (Vereinfachung)

Texte können für SuS nichtdeutscher Herkunft bzw. Nichtmuttersprachler derart schwierig zu verstehen sein, dass sie dadurch demotiviert werden, sich mit diesem Text auseinanderzusetzen. An dieser Stelle können eine Vereinfachung und Anpassung des Textes an den/die Leser/in sinnvoll sein. Bei diesem defensiven Vorgehen passt die Lehrkraft den Text an das Leseniveau der SuS an, indem bspw. die Fachsprache reduziert wird, die Übersichtlichkeit verbessert wird oder sprachliche Stolpersteine entfernt werden. Sprachvereinfachung kann ein sinnvolles Element des sprachsensiblen Fachunterrichtes sein, wenn dies für Lernende hilfreich ist. Jedoch sollte vorrangig ein offensives bzw. stärkendes Vorgehen angestrebt werden und den SuS durch Unterstützung einen Rahmen zu konstruieren, damit sie die sprachlichen Hürden eigenständig und erfolgreich bewältigen können.[1]

[1] vgl. Leisen 2018a: S.33, S. 152


Offensives Vorgehen (Unterstützung/Scaffolding/Methoden-Werkzeuge)

Scaffolds sind Lerngerüste, die den SuS zur Verfügung gestellt werden, damit sie bestimmte Aufgaben und Inhalte besser verstehen und lernen können, wobei Scaffolding als eine Technik zu verstehen ist, die das sprachliche Handeln der SuS so unterstützt, dass sie die jeweiligen Aufgaben kognitiv erfassen und lösen können. Hierzu gehört u. a. das Aktivieren von Vorwissen (sprachlich und fachlich) sowie die Bereitstellung von relevantem Wortschatz und gebräuchlichen Redemitteln.[1]

  • Texte können mit Beispielen und/oder Grafiken ergänzt werden.
  • Auf YouTube finden sich zu vielen Themen Lernvideos, die entsprechend ausgewählt werden müssen. Diese bieten einen anderen Zugang zum Unterrichtsstoff und können unterstützend eingesetzt werden.

Methoden-Werkzeuge sollen die Sprachförderung unterstützen. Unter Methoden-Werkzeugen werden Materialien und Hilfsmittel verstanden, die den Lernprozess der SuS fördern. Diese Unterstützungen sollen dazu beitragen, dass unterrichtliche Situationen von den SuS bewältigt werden können.[2] Dabei stehen u. a. 40 Methoden-Werkzeuge von Prof. Leisen zur Verfügung. Zu diesen Methoden-Werkzeugen[3] gehören bspw. die Unterstützung der SuS durch:

  • Wortlisten mit wichtigen Wörtern und Fachbegriffen,
  • Lückentexte, in welchen die SuS die bereits erlernten Fachbegriffe korrekt einsetzen sollen,
  • Worträtsel, d. h. Spiele zur Wiederholung und Übung von Fachbegriffen,
  • Memory-Spiele, bei denen die SuS sich Bilder und Begriffe merken und zuordnen.
  • Fehlersuchbilder zur Förderung exakter Sichtungen von Materialien usw.

[1] vgl. Kniffka 2010

[2] vgl. Leisen 2018b, S. 5

[3] http://www.josefleisen.de/download-methodenwerkzeuge


Stärkendes Vorgehen (Lese-)strategien

Damit SuS nichtdeutscher Herkunft bzw. Nichtmuttersprachler einen (Sach-)Text durchdringen, können Lesestrategien förderlich sein. Hier wird der Text nicht vereinfacht, sondern durch Hilfestellungen wird ein Verstehen und Durchdringen des Textes gefördert. Nach Prof. Leisen können folgende sechs Leseschritte zum verstehenden Lesen hilfreich sein: [1]

  1. Schritt - Die Vorentlastung: Das Vorwissen zu einem Thema wird aktiviert und Begriffe vorab erklärt, die den SuS unbekannt sind. Hier kann bspw. eine Wortliste erstellt werden, in welcher unbekannte Wörter und Fachbegriffe erklärt werden.
  2. Schritt – Das orientierende Lesen: Die SuS lesen den Text zügig in ihrem eigenen Tempo, ohne jeden Satz verstehen zu müssen, um mit dem Text vertraut zu werden. Im Anschluss an diesen Leseauftrag nennen die SuS im Plenum bspw. Wörter und Sätze, an die sie sich erinnern.
  3. Schritt – Das selektive Lesen: Die SuS suchen aus dem Text genau vorgegebene Daten, Begriffe, Sätze oder gewünschte Informationen heraus, um sich mit dem Text vertrauter zu machen. Dazu kann es sinnvoll sein, dass die SuS die gewünschten Informationen entweder farborientiert im Text markieren oder diese herausschreiben, um sich auf anschließende Leseaufträge vorzubereiten.
  4. Schritt – Das intensive Lesen: Die SuS sind angehalten, den Text intensiv wiederholend zu lesen, zu bearbeiten und unterschiedliche Lernprodukte zu erstellen. Dabei sollen variantenreiche und zunehmend anspruchsvollere Leseaufträge die SuS beim intensiven Lesen und Verstehen unterstützen. Die Leseaufträge können bspw. folgendermaßen ausgestaltet sein, dass die SuS zu jedem Abschnitt eine Überschrift notieren, Begriffe/Absätze in eigenen Worten erläutern, Fragen zum Text beantworten, ein Handout erstellen usw.
  5. Schritt – Das extensive Lesen: Die SuS erhalten weitere Leseaufträge zur Überprüfung und Sicherung ihres Leseverständnisses. Des Weiteren soll das Gelesene durch Wiederholung im Gedächtnis verankert werden. An dieser Stelle kann es ebenfalls sinnvoll sein, wenn die SuS Vergleichstexte zum Thema erhalten, um ihr Wissen zu erweitern.
  6. Schritt – Textnutzung: Die SuS nutzen den Text für das Weiterlernen und erstellen Lernprodukte, indem sie das erworbene Wissen anwenden. Weiterführende Arbeitsaufträge zur Textnutzung können bspw. sein, dass die SuS das Gelernte auf eine andere Situation übertragen, einen Fall mithilfe des Textes lösen etc.

[1] vgl. Leisen 2020, S. 71ff.


Methodische Tipps

  • Unterschiedliche Sozialformen (Einzel-, Partner-, Gruppenarbeit) können eingesetzt werden, indem das Arbeitstempo der leistungsschwachen SuS berücksichtigt wird.
  • Phasen im Plenum zur Reflexion können eingesetzt werden.
  • Eigene sprachliche Redebeiträge (klare, verständliche Sprache, möglichst keine Umgangssprache) spielen eine bedeutende Rolle.
  • Es ist darauf zu achten, dass die SuS oft Gelegenheit bekommen sich zu äußern, um Fragen zu stellen oder Inhalte mit eigenen Worten wiederzugeben.

Reflexion von sprachsensiblem Unterricht

Eine Unterrichtsreflexion kann nach den allgemeinen Kriterien erfolgen, insbesondere unter Berücksichtigung folgender Fragen:

  • Konnten alle SuS die Aufgaben verstehen?
  • Konnten alle SuS die Aufgaben lösen?
  • Bekamen alle SuS geeignete Hilfestellungen?
  • Wurden alle SuS angeregt, selbstständig zu arbeiten?
  • War die Differenzierung der Aufgaben entsprechend der Kenntnis- und Leistungsstände der SuS sinnvoll?
  • Hatten alle SuS die Möglichkeit sich einzubringen?
  • War die Ergebnissicherung für alle SuS verständlich?
  • Waren die Hausaufgaben für alle SuS nachvollziehbar?
  • Konnten alle SuS dem Thema folgen?